Behinderung & Alter
„Schon wieder einer mit Spieltags-Tourette“
„Ey, Du Spasti!“ „Du Missgeburt!“
„Boah, is’ der behindert“ „Voll der Psycho“
„Zappelphilipp“ „Alte Schachtel“
„…ein Fall für’s Heim“ „Junger Hüpfer“
„Voll das Kind…“
Quellen: Zitate aus diversen Fußballstadien und Vereinen
Warum wir darüber sprechen?
Bis 2030 wird knapp ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland über sechzig Jahre alt sein. Angesichts des demografischen Wandels wird der Anteil und damit die Bedeutung von älteren Menschen und Menschen mit Behinderung als Zuschauer*innen in den Stadien, im Aktivenfußball sowie im Vereinsleben weiter steigen.
Der Anteil von Menschen mit Behinderung an der Gesamtbevölkerung in Deutschland liegt aktuell bei rund 10 % – Tendenz steigend. Nur knapp 5 % dieser Behinderungen sind angeboren. Die restlichen 95 % werden im Laufe des Lebens erworben.
Wie die Gesellschaft hinkt auch der Fußball dieser Entwicklung noch hinterher. Dies betrifft zum Beispiel die Stadioninfrastruktur. Auch werden die Zugangsbarrieren älterer oder behinderter Menschen in der Kommunikation und einer zunehmend digitalisierten Fußballorganisation bisher nur wenig berücksichtigt: Marketingstrategien und Bildsprache der Vereine bilden aktuell vor allem junge, schlanke, weiße Menschen ab, mit denen vermeintlich eher Leistungsfähigkeit, Schnelligkeit, Attraktivität und frische Ideen verbunden werden.
Diesem Ideal stehen Menschen mit Behinderung und ältere Menschen entgegen. Sie werden in unserer Gesellschaft oft als weniger leistungsfähig und entsprechend als hilfsbedürftige und nicht als gleichberechtigte, selbstbestimmte Menschen auf Augenhöhe wahrgenommen und behandelt. Auch jüngere Menschen sowie Kinder werden häufig abgewertet, ihnen wird die Erfahrung abgesprochen und ihre Meinung weniger ernst genommen.
Die negativen Zuschreibungen, die sich daraus ergeben, zeigen sich auch im sprachlichen Umgang im Fußball.
Häufigste Diskriminierungsformen
Ableismus
Ableismus ist eine direkte Übersetzung des englischen „ableism“ und setzt sich zusammen aus „(to be) able“ (= fähig sein) und „-ism“ (= -ismus). Ableismus bezeichnet die strukturelle Diskriminierung aufgrund einer körperlichen oder psychischen Behinderung oder aufgrund von Lernschwierigkeiten.
Ein Mensch wird also wegen einer bestimmten äußerlich wahrnehmbaren Eigenschaft oder vermeintlich eingeschränkter Fähigkeiten negativ und herabschauend bewertet. Häufig wird aber auch bei vermeintlich (außer-)gewöhnlichen Leistungen betont, dass sie „trotz“ einer Behinderung erbracht wurden – was eine Form von Diskriminierung darstellen kann.
Behindertenfeindlichkeit
Behindertenfeindlichkeit als Begriff ist eng mit Ableismus verbunden, beschreibt aber vor allem offene Gewalt und Hass gegen Menschen mit Behinderung und die strukturelle Geringschätzung behinderten Lebens.
Altersdiskriminierung
Altersdiskriminierung bezeichnet vor allem die Benachteiligung von Personen oder Gruppen aufgrund ihres Lebensalters. Meist ist die Diskriminierung älterer Menschen (etwa 50+) gemeint, gelegentlich jedoch die junger Menschen. „Altern“ wird meist negativ besetzt, „jung“ wird aber auch immer wieder mit Unerfahrenheit, Leichtgläubigkeit oder vermeintlich (kindlich-)unvernünftigen Verhaltensweisen verbunden.
Jeder fünfte Mensch in Deutschland hat bereits Situationen erlebt, in denen er*sie wegen seines*ihres Alters benachteiligt wurde. (FAQs Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2020). In Deutschland fehlt ein ausdrückliches Verbot der Altersdiskriminierung im Grundgesetz. Erst seit 2006 ist sie im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) überhaupt gesetzlich verankert.
Adultismus
Adultismus bezeichnet die Diskriminierung junger Menschen aufgrund ihres Alters durch Erwachsene.
Spricht man von Altendiskriminierung oder Senior*innenfeindlichkeit geht es um die Diskriminierung aufgrund eines vermeintlich zu hohen Alters.
Du bist nicht behindert – du wirst behindert. Das soziale Modell von Behinderung
Das sogenannte soziale Modell von Behinderung ging aus internationalen Behindertenrechts-Bewegungen hervor. Das Modell will vor allem eine Abgrenzung von einer rein medizinischen Sichtweise auf Behinderung und Diagnosen erreichen: Behinderung soll nicht länger in erster Linie als Defizit, also als die Beeinträchtigung eines Einzelnen oder als Abweichung von einer körperlichen, psychischen oder geistigen gesellschaftlichen Norm betrachtet werden. Der Blick richtet sich vielmehr auf das Potenzial der Menschen – und auf die Beeinträchtigung nur dann, wenn es unbedingt relevant ist.
Damit findet ein Perspektivwechsel statt: In den Vordergrund rücken neben der einzelnen Persönlichkeit vor allem gesellschaftliche Verhältnisse und Räume, die soziale Teilhabe be- und verhindern.
Die UN-Behindertenrechtskonvention und die entsprechende Gesetzgebung zur Gleichstellung behinderter Menschen in Deutschland basieren auf diesem – stark an der Leitidee von Inklusion orientierten – sozialen Modell von Behinderung.